Warum Kernenergie und erneuerbare Energien nicht gut zusammen passen

1. Grundlast vs. Regellast

Die Grundlast ist der Verbrauch an Strom, der im Tagesverlauf nie unterschritten wird. Kraftwerke mit hohen Investitionskosten, aber geringen spezifischen Betriebskosten, können sich am ehesten im Grundlastbetrieb amortisieren und sind wirtschaftlich darauf angewiesen, dass man sie da ungestört im Dauerbetrieb arbeiten lässt.

Da Angebot und Nachfrage im Stromnetz immer im Gleichgewicht sein müssen, brauchen Grundlastkraftwerke ergänzend installierte Regelleistung.

Typische Grundlastkraftwerke sind Kohle- und Kernkraftwerke. Diese können nur sehr träge hoch- und runtergefahren werden, wir sprechen hier eher von Tagen als von Stunden. Daher ist es wirtschaftlich am besten, diese kontinuierlich durcharbeiten zu lassen.

Typische Regelkraftwerke sind Gaskraftwerke. Diese sind deutlich kleiner und können binnen Stunden zusätzlichen Strom zur Verfügung stellen.

Wie kommen die erneuerbare Energien (EE) in dieses Szenario?

Biogas: Zählt zu den Grundlastkraftwerken. Ein Biogasreaktor braucht lange, um hochgefahren zu werden. Dann produziert er aber kontinuierlich und mit einem entsprechenden Gaskraftwerk (bzw. BHKW) dahinter haben wir eine kontinuierliche Stromproduktion.

Wasserkraft: Ebenfalls Grundlast, aber schon leichter regelbar. Man kann recht einfach Wasser an der Turbine vorbeilaufen lassen und somit die Stromproduktion drosseln.

Sonne, Wind: Diese werden in Deutschland derzeit hauptsächlich als Regelleistung eingesetzt. Das sieht man gut an den Windkraftanklagen, die sich trotz guter Brise nicht drehen, da gerade genug Strom im Netz ist. PV-Anlagen werden gleichermaßen gedrosselt, die technische Möglichkeit ist bei Anlagen ab 30 kWp verpflichtend.

Gleichwohl wird die Vorstellung der Bereitstellung einer Grundlast aus zentralen Großkraftwerken in der Fachwelt zunehmend als überholt angesehen. [1] [2] In einer zukünftigen Vollversorgung aus EE wird der Verbrauch gedeckt werden aus einer Mischung aus zentralen und dezentralen EE-Kraftwerken im Zusammenspiel mit Speichertechnologien, intelligentem Lastmanagement und dem Stromaustausch mit den europäischen Nachbarländern. [3] Bereits heute decken die EE an manchen Tagen 100 % des Strombedarfs in Deutschland. Entscheidend ist, dass bei extremen Wetterlagen, d.h. wenig Wind und bewölkter Himmel, kurzfristig Reservekapazitäten eingesetzt werden können. Diese müssen in der Lage sein, innerhalb von 24 Stunden den Wegfall eines Großteils der EE-Erzeugungskapazität zu kompensieren und bei Veränderung der Wetterlage ebenso schnell wieder abregelt werden können.

2. Kernkraftwerke sind als Reserve am unwirtschaftlichsten

Aus dem bisherigen System der Stromversorgung mit Großkraftwerken für die Bereitstellung der Grundlast ergibt sich für die Produzenten die Möglichkeit, Anlagen im Dauerbetrieb zu fahren. PV und Windkraft haben auch sehr geringe Betriebskosten und sind daher natürliche Konkurrenten von klassischen Grundlastkraftwerken wie den Kernkraftwerken (KKW). An sonnigen und windigen Tagen können EE leicht den Bedarf alleine decken.

Gerade bei den EE muss die Reservekapazität im Extremfall (Dunkelflaute) den Großteil der Last aufbringen können. Dafür kommen aber nur Anlagen mit geringen Investitionskosten in Frage, die sich auch bei nur kurzzeitigem Einsatz amortisieren können. Diese Anforderungen entsprechen nicht dem wirtschaftlichen Profil von KKW, was Atomenergie als Juniorpartner der EE ungeeignet macht.

3. Kernkraftwerke haben eine zu geringe Flexibilität in der Regelbarkeit

Neben der Unwirtschaftlichkeit des Betriebs von Kernkraftwerken als Reserve steht die unzureichende Flexibilität in der Regelbarkeit. Zwar können Kernkraftwerke in einem Bereich nahe der Nennleistung (die maximale Leistung) um bis zu 10 % pro Minute ihre Leistung anheben und absenken. Allerdings dürfen 50-60 % der Nennleistung im praktischen Betrieb nicht unterschritten werden. Die Anfahrzeit, d. h. die Zeit, die benötigt wird, den Reaktor aus dem ausgeschalteten Zustand wieder in Betrieb zu nehmen, beträgt 1-2 Tage. [4]

Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag untersuchte die Möglichkeit des Einsatzes der deutschen Kernkraftwerke als Ergänzung zu den EE in Deutschland in einer Simulation:

Es zeigte sich, dass ein KKW-Betrieb, bei dem – wie bisher üblich – der Lastbereich unterhalb 50 bis 60 % der Nennlast nicht genutzt wird, nicht ausreichen würde, um die Integration eines hohen Anteils fluktuierender EE-Einspeisung zu erlauben. Die Konsequenz wäre, dass zu bestimmten Zeiten EE- Anlagen abgeregelt werden müssten, wenn die am Netz befindlichen KKW nicht weiter heruntergeregelt werden können, weil ihre Mindestlast erreicht ist. [4]

Ein häufiges An- und Ausschalten, wie es als Ergänzung oder Reserve bei einer Vollversorgung aus EE erforderlich wäre, ist darüber hinaus mit einer verstärkten Materialabnutzung durch Temperatur- und Druckwechseln in Kühlkreisläufen und die häufige Betätigung von Steuereinrichtungen verbunden. Dies würde zu stärkeren Ermüdungserscheinungen an Bauteilen und in der Folge zu höherer Wartungsintensität und Ausfallzeiten führen.

4. Gaskraftwerke sind die bessere Wahl als Reserve

Vor diesem Hintergrund werden in der Wissenschaft und Politik Gaskraftwerke als geeignete Back-Up-Kapazität für die EE gesehen. [5] Gaskraftwerke haben eine Reihe von Vorteilen gegenüber Kernkraftwerken.

  • Gaskraftwerke können innerhalb von 10-15 Minuten hochgefahren werden und somit viel kurzfristiger auf wetterbedingte Schwankungen bei den Kapazitäten aus EE reagieren. [6]
  • Gaskraftwerke sind schwarzstartfähig. Das heißt, sie können zum Beispiel bei einem Blackout ohne externe Energiezufuhr wieder angefahren werden und Deutschland innerhalb weniger Minuten wieder mit Strom versorgen. Gas-Kraftwerke können somit vollständig autonom die Stromversorgung wiederherstellen und tragen zur Resilienz des Stromnetzes bei.
  • Gaskraftwerke können perspektivisch mit grünem Methan oder grünem Wasserstoff betrieben werden und stellen daher eine CO2-neutrale Reservekapazität dar. Methan und Wasserstoff können in den bereits vorhandenen Untertage-Speichern gelagert werden und flexibel im Bedarfsfall eingesetzt werden.

5. Lock-in-Effekt

Der Lock-In-Effekt beschreibt in der Wirtschaftswissenschaft den Bindungseffekt eines Anbieters oder Systems an den Nutzer bzw. Kunden. Der Effekt besteht in den hohen Kosten, die mit dem Wechsel zu einem anderen System verbunden wären, auch wenn das andere System auf lange Sicht wirtschaftlicher ist oder andere Vorteile bietet. Ein bekanntes Beispiel für einen Lock-In-Effekt ist die QWERTZ-Tastatur bei Computern. Die Tasten sind heute so angeordnet, weil sie in dieser Anordnung auf der früher genutzten Schreibmaschine das Verhaken der Typenhebel verhinderten. Mit der Entwicklung von Computern war dieser Grund nicht mehr gegeben und es hätte sinnvollere Anordnungen gegeben, doch die Pfadabhängigkeit/der Aufwand zur Umgewöhnung war zu groß, um die weltweit so eingestellte Technologie grundlegend umzustellen. Die Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung beschreibt diesen Effekt im Kontext der Energiewende ausführlich:

Durch Pfadabhängigkeiten wird die zukünftige Entwicklung von Entscheidungen in der Vergangenheit beeinflusst. Jede langfristige Transformation ist von derartigen Pfadabhängigkeiten gekennzeichnet. Die lange Wirkungsdauer von politischen Entscheidungen trägt zusätzlich dazu bei, dass sich die Umsetzung der EW [Energiewende] hinauszögert (acatech, Leopoldina & Akademienunion 2017b). [7]

Dabei lassen sich infrastrukturelle, technologische, institutionelle, verhaltensgetriebene und weitere unabhängige Lock-In-Effekte unterscheiden:

Skaleneffekte und sunk costs in Form hoher Investitions- und Fixkosten der fossilen Technologien setzen einen Anreiz, weiterhin die etablierte Technologie zu nutzen. Dadurch verstetigen sich herkömmliche Technologien. Auf der Konsumentenseite können ebenfalls Pfadabhängigkeiten entstehen: Zum einen trägt die Bekanntheit einer Technologie dazu bei. Je verbreiteter das Wissen über die Funktionsweise ist, umso geneigter sind die Konsumentenen, die Technologie zu übernehmen. Zum anderen bestimmen die Erwartungen über die zukünftige Entwicklung das Nutzerverhalten, sodass als vielversprechend wahrgenommene Technologien eher angewendet werden. Die sich hieraus ergebenen Pfadabhängigkeiten erschweren die Verbreitung von neuen EW- Technologien, können bei einem entsprechenden Verbreitungsgrad jedoch ins Gegenteil kippen.

So haben die Subventionen für fossile Energiegewinnung und Kernenergie in der Vergangenheit die Pfadabhängigkeit von diesen Technologien zementiert. Indem diese Kraftwerksarten mit Subventionen künstlich günstig gehalten wurden, hatten die EE geringere Entwicklungsmöglichkeiten. [8] Wir streben in Deutschland eine Energieversorgung aus EE an, auf Basis von zentralen und dezentralen EE-Kraftwerken, Speichern zum Ausgleich von Fluktuationen, intelligenten Netzen usw. Dies erfordert ein hohes Maß an Investitionen und das Abbauen der bestehenden Pfadabhängigkeiten sowohl von fossilen Kraftwerken als auch von Kernkraft. Das Umleiten von Ressourcen und Kapital in das bestehende System der Großkraftwerke und das Subventionieren dieser würde diese Pfadabhängigkeiten zementieren, statt sie abzubauen, und würde somit den Lock-In-Effekt verstärken, statt ihn zu überwinden.

6. Kernenergie und EE weniger effektiv als nur EE

Eine Studie der University of Sussex Business School und International School of Management, München, kam zu dem Schluss, dass der gemeinsame Einsatz von Kernenergie und erneuerbaren Energiequellen die Effektivität des Klimaschutzes reduziert im Vergleich zu einer Strategie, die nur auf erneuerbare Energiequellen setzt. [9] Die beiden Energiesysteme würden sich demnach gegenseitig verdrängen und ihre Effektivität beschränken. Die Ausrichtung der Netzstrukturen sowie Finanzierungsansätze seien bei beiden Ansätzen unterschiedlich und inkompatibel. Die CO2-Einsparung durch nukleare Stromerzeugung sei in Ländern mit hohem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf gering im Vergleich zu Investitionen in erneuerbare Energiequellen, und in Ländern mit geringem pro-Kopf-BIP sei die nukleare Stromerzeugung sogar mit tendenziell höheren CO2-Emissionen verbunden.

Mitautor Andrew Stirling, Professor für Science und Technology Policy an der University of Sussex Business School: „Dieser Artikel entlarvt, wie irrational es ist, sich auf ein ‘do everything’-Argument zu stützen, wenn es um Investitionen in Nuklearenergie geht. Unsere Ergebnisse zeigen nicht nur, dass diese Investitionen weniger wirksam hinsichtlich der Reduktion von CO2-Emissionen sind als Investitionen in erneuerbare Energien, sondern auch, dass Spannungen zwischen diesen beiden Investitionsstrategien einen wirksamen Kampf gegen den Klimawandel gefährden.“ [10]

Fazit von Mitautor Prof. Sovacool von der britischen Sussex University: „Die Beweise deuten eindeutig darauf hin, dass Atomkraft die am wenigsten wirksame der beiden Strategien zur Reduzierung der CO2-Emissionen ist. Aufgrund der Tendenz, nicht gut mit der erneuerbaren Alternative zusammen zu existieren, wirft dies ernsthafte Zweifel an der Weisheit auf, Investitionen in Atomkraft vor erneuerbaren Energien zu priorisieren. Länder, die umfangreiche Investitionen in neue Kernenergie planen, riskieren die Unterdrückung größerer Klimavorteile durch alternative Investitionen in erneuerbare Energien.“ [10]

7. Fazit

Kernenergie und EE wurden für grundlegend verschiedene Energiesysteme entwickelt unter gegensätzlichen Prämissen. Sie behindern sich gegenseitig bzw. reduzieren in der Wechselwirkung ihre Effizienz und Rentabilität. Eine politische Strategie, die auf beide Arten der Stromerzeugung parallel setzt, in Form von Investitionen und Subventionen, würde die Effektivität des Klimaschutzes, die Resilienz des Stromnetzes und die Geschwindigkeit des Ausbaus der EE verringern im Vergleich zu einer Strategie, die alle Ressourcen auf die Ausbauziele und geeignetere Reservetechnologien setzt.

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